Warum brauchen wir im 21. Jahrhundert noch immer die Drei Weisen Affen und ihre Botschaft?
Einstiegsfrage: Brauchen wir in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Fake News noch alte Symbole?
In einer Welt, in der wir täglich von Tausenden Reizen überflutet werden – Nachrichten, Filme, Alarme, Benachrichtigungen – kann eine alte, im 17. Jahrhundert entstandene Schnitzerei der drei Affen aus dem japanischen Toshogu-Schrein für uns noch eine Bedeutung haben? Kann das Bild eines Tieres, das seine Augen bedeckt, eines anderen, das seine Ohren zuhält, und eines dritten, das seine Hände vor den Mund legt, mehr sein als nur ein Internet-Meme oder ein Smartphone-Emoji?
Die Antwort lautet: ja, mehr denn je. Die drei weisen Affen – Mizaru, Kikazaru und Iwazaru – sind ein Symbol für geistige Hygiene, moralisches Gleichgewicht und die bewusste Wahl dessen, womit wir unseren Geist nähren. In Zeiten von Fake News, Informationschaos und der „ewigen Jagd“ nach neuen Inhalten ist ihre Botschaft nicht nur aktuell, sondern unverzichtbar, wenn wir unsere seelische Gesundheit und innere Ruhe bewahren wollen.
Zurück zu den Ursprüngen: Woher kamen die drei Affen?
Die Geschichte beginnt im Japan des 17. Jahrhunderts. Am hölzernen Tor des Toshogu-Schreins in Nikkō wurde eine Szene geschnitzt, die drei Affen darstellt:
Mizaru – die Augen bedeckend („nichts Böses sehen“),
Kikazaru – die Ohren zuhaltend („nichts Böses hören“),
Iwazaru – den Mund verschließend („nichts Böses sagen“).
Dies war keine zufällige Dekoration. In der japanischen Kultur wurde das Wort für Affe – saru – sprachlich mit der Negationsform zaru verbunden und so zu einem symbolischen Wortspiel. Das Ganze war eine philosophische Leitlinie: Um Harmonie zu bewahren und das Böse zu vermeiden, sollte man bewusst wählen, was man sieht, hört und sagt.
Ähnliche Gedanken finden sich bei Konfuzius, der riet: „Sieh nicht auf das, was unanständig ist, höre nicht auf das, was unwürdig ist, sprich nichts Unangemessenes, tue nichts, was dem Guten widerspricht.“ In der westlichen Welt hallt dies in den berühmten „drei Filtern des Sokrates“ nach: Ist das, was du sagst, wahr? Ist es gut? Ist es notwendig?
Für die Menschen in Japan und China war die Botschaft eindeutig: Die Beherrschung der eigenen Sinne und Worte war der Weg zu Frieden, Harmonie und einem weisen Leben.
Vom 17. bis zum 21. Jahrhundert – warum funktioniert es noch immer?
Versetzen wir uns in unsere Zeit. Wir leben in einer Epoche, die Soziologen so beschreiben: „Zu viele Informationen töten das Wissen.“ Jeden Tag erreichen uns Hunderte, manchmal Tausende Reize – die meisten unnötig, einige falsch und ein großer Teil schlicht toxisch. Fake News, Hassreden, Klatsch, Clickbait – das sind die heutigen Formen des „Bösen“, die Augen, Ohren und Mund angreifen.
Augen – jeden Tag sehen wir Bilder von Gewalt, Sensationen und Dramen. Soziale Medien füttern uns mit dem, was schockiert und Aufmerksamkeit erregt, denn darauf beruhen ihre Algorithmen.
Ohren – wir hören einen endlosen Strom von Worten: Meinungen, Kommentare, Kritik. Immer öfter ist es Lärm statt echtem Dialog.
Mund – es ist leicht, in die Spirale des Hasses hineingezogen zu werden, Klatsch zu wiederholen, Kommentare abzugeben, die zerstören statt aufzubauen.
Sind das nicht die modernen Entsprechungen der Warnungen der drei Affen?
Psychologische Studien zeigen, dass negative Informationen viel stärker auf uns wirken als positive. Das ist die Wirkung der Spiegelneuronen – Nervenzellen im Gehirn, die aktiv werden, wenn wir die Emotionen anderer beobachten. Beim Ansehen eines Horrorfilms empfinden wir Angst, obwohl wir wissen, dass es Fiktion ist. Hören wir ständige Kritik, beginnen wir selbst, in Angst und Misstrauen zu leben.
Deshalb ist die Philosophie „nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ im 21. Jahrhundert keine Naivität. Sie ist ein praktisches Rezept für geistige Hygiene.
Geistige Hygiene im Smartphone-Zeitalter
Am stärksten gefährdet sind die jungen Generationen – Kinder und Jugendliche, die von Geburt an Smartphones in den Händen halten. Sie wachsen in einer Welt der ständigen Verfügbarkeit von Inhalten auf. Wenn schon Erwachsene Schwierigkeiten haben, Information von Desinformation zu unterscheiden, wie sollen dann junge Menschen damit zurechtkommen, die ihre Identität erst noch entwickeln?
Ständiger Kontakt mit negativen Inhalten kann die Anfälligkeit für Depressionen und Ängste erhöhen.
Ständige Kritik und Vergleiche zerstören das Selbstwertgefühl.
Fehlende Informationsfilter führen zu mentalem Chaos, mangelnder Konzentration und Gedächtnisproblemen.
Genau hier erweist sich das Symbol der drei weisen Affen als unbezahlbar. Es ist ein einfacher, aber wirkungsvoller Code: Nicht alles, was du siehst, musst du anschauen; nicht alles, was du hörst, musst du aufnehmen; nicht alles, was du weißt, musst du wiederholen.
Die Lehre des Sokrates und die moderne Psychologie
Die Filter des Sokrates – Wahrheit, Güte, Notwendigkeit – sind fast dasselbe wie die Affen aus Toshogu. Wenn eine Information nicht wahr, nicht gut und nicht notwendig ist, sollte man sie am besten zurückhalten.
Heute fügt die Psychologie eine weitere Dimension hinzu: Der Geist funktioniert wie ein Schwamm. Er saugt die Inhalte auf, die ihn erreichen, und beginnt, sie zu reproduzieren. Deshalb ist es so wichtig, ihn mit dem zu nähren, was stärkt, und nicht mit dem, was zerstört.
In der Praxis bedeutet das:
die Wahl wertvoller Informationsquellen,
die Begrenzung der Belastung durch toxische Inhalte,
das bewusste Vermeiden der Verbreitung von Klatsch und Hass,
die Konzentration auf das, was entwickelt, inspiriert und Hoffnung gibt.
Die moralische Kraft der drei weisen Affen
Zum Schluss kehren wir zur Botschaft zurück. Das Symbol der drei weisen Affen ist kein Gebot der Blindheit oder des Schweigens gegenüber Ungerechtigkeit – auch wenn Kritiker es manchmal so deuten. Es ist eine Erinnerung an die moralische Verantwortung für die eigenen Sinne, Worte und Gedanken.
Mizaru – nichts Böses sehen: weil ich entscheide, meinen Blick nicht auf das zu richten, was mich zerstört.
Kikazaru – nichts Böses hören: weil ich filtere, was zu mir dringt, und mich nicht mit ständigem Lärm vergifte.
Iwazaru – nichts Böses sagen: weil ich weiß, dass Worte verletzen oder aufbauen können, und Schweigen manchmal Gold ist.
Es ist eine Philosophie der geistigen und sozialen Hygiene. Sie schützt das Individuum, aber auch ganze Gemeinschaften. Weniger Kritik, Klatsch und Hass bedeuten mehr Vertrauen, Ruhe und Harmonie.
Die Technologie rast voran, aber wir müssen nicht
Die Technologie des 21. Jahrhunderts entwickelt sich schneller als je zuvor. Künstliche Intelligenz, soziale Medien, Benachrichtigungen in Echtzeit – all das vermittelt uns das Gefühl, wir müssten „mit der Welt Schritt halten“. Doch die Wahrheit ist eine andere: Wir müssen nicht jeder Information nachjagen oder uns in jeden Konflikt einmischen.
Die drei weisen Affen aus vergangenen Jahrhunderten erinnern uns daran, dass Ruhe, Ausgeglichenheit und Weisheit kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit sind. Heute sind sie unser moralischer Kompass, und ihre Botschaft – wie viele Quellen schreiben – ist zugleich einfach und tiefgründig:
schütze deinen Geist vor der Flut toxischer Inhalte,
filtere, was du siehst, hörst und sagst,
wähle das, was Kraft gibt, und nicht das, was den Frieden raubt.
Denn in einer Welt, in der alles um unsere Aufmerksamkeit schreit, ist der größte Akt der Freiheit die Fähigkeit zu sagen: Ich sehe nicht, ich höre nicht, ich spreche nicht das, was zerstört.
Der Schatten des Symbols: wenn die „drei Affen“ zur Rechtfertigung von Passivität werden (kritisches Gleichgewicht)
Um intellektuell ehrlich zu bleiben, muss klar gesagt werden: Das Symbol der drei weisen Affen wurde und wird nicht nur als Weisheit, sondern auch als Passivität interpretiert – als blindes Abwenden vom Bösen. In vielen Sprachen gibt es Redewendungen, die dies ausdrücken: Im Türkischen bedeutet „3 Maymunu oynamak“ („drei Affen spielen“), „so tun, als ob man nichts sieht, nichts hört und nichts sagt“ – oft im Zusammenhang mit Verantwortungsvermeidung. In Publizistik und Geschichtsschreibung gibt es zudem eine deutliche Kritik an der „Kultur des Schweigens“: Wenn Gesellschaften die Augen abwenden, die Ohren verschließen und gegenüber Unrecht schweigen, entsteht ein stilles Einverständnis mit der Ungerechtigkeit.
In neuzeitlichen kolonialen Kontexten – wie einige Forscher betonen – war die Geste „nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ manchmal eine Metapher für Verleugnung und Verdrängung: das Vortäuschen von Unwissenheit, wenn es um Gewalt, Diskriminierung oder Ausbeutung ging. Diesen „dunklen Gegenpol“ des Symbols müssen wir berücksichtigen, besonders heute, da die Reichweite der Medien uns erlaubt, mehr zu sehen und schneller zu wissen.
Wo verläuft die Grenze zwischen geistiger Hygiene und moralischer Gleichgültigkeit?
„Nichts Böses sehen“ bedeutet nicht: „Ich ignoriere das Unrecht.“ Es bedeutet: Ich ernähre mich nicht von Inhalten, die mich zerstören, aber ich verschließe meine Augen nicht vor Tatsachen, die Handeln erfordern.
„Nichts Böses hören“ bedeutet nicht: „Ich höre Zeugen von Gewalt nicht zu.“ Es bedeutet: Ich nehme keinen Klatsch und Hass in mich auf, sondern höre auf Stimmen, die Hilfe brauchen.
„Nichts Böses sagen“ bedeutet nicht: „Ich schweige, wenn Protest nötig ist.“ Es bedeutet: Ich spreche die Wahrheit verantwortungsvoll, ohne Hass zu schüren; ich nenne Unrecht beim Namen.
Das ist der Unterschied zwischen Desertion und Disziplin: zwischen bequemem Rückzug und bewusster Auswahl von Inhalten, durch die wir Kraft gewinnen, wirksam zu handeln. Wenn das Symbol seinen moralischen Wert behalten soll, muss es mit Zivilcourage verbunden sein: Wenn wir das Böse sehen, handeln wir – aber wir lassen nicht zu, dass die Flut toxischer Reize unser Urteil lähmt und uns die Energie für kluges Handeln raubt.
In der Praxis: geistige Hygiene + soziale Verantwortung. Wir reinigen den Datenstrom, um besser zu erkennen, was Intervention erfordert. Das ist keine Flucht, sondern eine Vorbereitung auf eine echte, wirksame Reaktion (von Bildung über Unterstützung der Betroffenen bis hin zu bürgerschaftlichem Engagement).
Brücke zur Gegenwart: Achtsamkeit und kognitive Psychologie – wie man die „drei Affen“ in alltägliche Praktiken verwandelt
Das Symbol wird wirklich nützlich, wenn wir es in konkrete Gewohnheiten übersetzen. Hier kommen zwei moderne Bereiche ins Spiel: Achtsamkeit und kognitive Psychologie.
9.1. Achtsamkeit: die drei weisen Affen als Aufmerksamkeits-Training
Achtsamkeit ist die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken und aufrechtzuerhalten – mit Freundlichkeit und ohne automatisches Urteilen. Es ist die Praxis des „Hier und Jetzt“, die uns gegen die Flut von Reizen stärkt.
Mizaru (Augen) → Praxis des „bewussten Schauens“: Bevor du eine Nachrichten-App öffnest, frage dich: „Warum?“ Wenn die Antwort „Gewohnheit, Langeweile“ lautet – lege das Handy 5 Minuten weg, atme 10 Mal ruhig, kehre zur Aufgabe zurück.
Kikazaru (Ohren) → Praxis des „freundlichen Filterns“: Beim Zuhören einer Diskussion erkenne den Fakt und trenne ihn von Meinung/Emotion. Achte darauf, wenn der Ton in Hass kippt – beende die Teilnahme.
Iwazaru (Mund) → Praxis der „Pause vor dem Wort“: Bevor du auf „Veröffentlichen“ drückst, überprüfe die „3F“: Fakten (ist es wahr?), Funktion (warum sage ich es?), Form (ist die Art nicht unnötig verletzend?).
Achtsamkeit bedeutet nicht, „die Augen vor der Welt zu verschließen“. Es bedeutet, die Aufmerksamkeit bewusst zu steuern, damit uns Energie für das wirklich Wichtige bleibt (Lernen, Arbeit, Beziehungen, Hilfe für andere).
9.2. Kognitive Psychologie: wie uns das Gehirn täuscht (und wie wir damit umgehen)
Unser Gehirn verwendet Abkürzungen (Heuristiken), die uns in einer Welt voller Inhalte oft in die Irre führen:
Verfügbarkeitsheuristik: die neuesten oder auffälligsten Informationen wirken „wahrer“. Gegenmittel: Urteilsverzögerung (10 Minuten warten, Quellen prüfen).
Negativitäts-Bias: negative Inhalte wirken stärker als positive. Gegenmittel: bewusstes Ausgleichen (auf 1 negatives – 2 neutrale/positive Bildungsquellen).
Emotionale Ansteckung (Spiegelneuronen): wir nehmen die Stimmung der Gruppe/Inhalte auf. Gegenmittel: „Informations-Diät“ (bildschirmfreie Zeiten: 30–60 Min. morgens/abends; „Nicht stören“-Modus beim Lernen).
Bestätigungsfehler: wir suchen Daten, die unsere Überzeugungen stützen. Gegenmittel: „Steelman-Prinzip“: Bevor du kritisierst, stelle die stärkste Version der Gegenseite dar.
Kognitive Überlastung: zu viele Reize = schlechtere Entscheidungen. Gegenmittel: Portionierung (max. 2–3 News-Sitzungen pro Tag, je 10–15 Min.; Restzeit – Deep Work/Erholung).
9.3. Mikro-Werkzeuge für den Alltag (für Junge und Erwachsene)
STOP-Regel (Stop–Take a breath–Observe–Proceed): Stop → Atem holen → Gedanken/Gefühl/Reiz beobachten → bewusst handeln, nicht automatisch.
3 Filter des Sokrates = Publikations-Algorithmus: Wahrheit? Güte? Notwendigkeit? Wenn 2ׄnein“ – nicht veröffentlichen.
„Fenster der Stille“: 2 bildschirmfreie Zeiten pro Tag (z. B. 7:00–8:00 und 21:00–22:00).
„Rotes Signal“: Wenn du nach dem Konsum von Inhalten wachsende Wut/Angst spürst → 20 Min. Pause (Bewegung/Atem/Wasser).
„Liste A/B-Quellen“: A = verifiziert, bildend; B = unterhaltend, potenziell toxisch. Zuerst A, dann B – und zeitlich begrenzt.
„Worte ohne Schaden“: Bevor du kritisierst, stelle eine klärende Frage; wenn du eine Falschinformation korrigieren musst – tue es Fakt für Fakt, ohne Etiketten.
Diese Mikropraktiken sind einfach – und genau deshalb wirken sie. Sie verwandeln das Symbol in einen Gewohnheits-Muskel.
Für wen ist das? Für alle – ein Appell an Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren
Kinder: die Welt des Internets ist ein Ozean – zieht die Schwimmflügel an: fragt euch „Warum schaue ich das?“, erzählt euren Eltern/Betreuern, was euch beunruhigt.
Jugendliche: eure Identität ist kein Algorithmus – trennt euch, wenn Inhalte Angst oder Wut „hochdrehen“. Die Filter des Sokrates sind keine Zensur, sondern ein Selbst-Tuning.
Erwachsene: ihr seid Lernvorbilder. Wie ihr Inhalte konsumiert und kommentiert, lehrt die Jüngeren mehr als jede Vorlesung.
Senioren: eure Erfahrung ist das Gegenmittel zu Heuristiken. Helft, Informationen zu überprüfen, gebt ruhige Kontexte.
Letztes Wort: Balance statt Flucht
Die drei weisen Affen lehren uns keine Flucht. Sie lehren Ausgeglichenheit: weniger Reize – mehr Klarheit; weniger Lärm – mehr Verständnis; weniger schädliche Worte – mehr Güte.
Es ist zugleich moralischer Kompass und Werkzeugkasten. In einer Welt, die sich ständig beschleunigt, beginnt unsere Freiheit mit der Entscheidung, was wir in unseren Kopf hinein- und aus unserem Mund herauslassen.
„Nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ – bedeutet heute: Ich sehe, was wichtig ist, ich höre, was nötig ist, ich spreche so, dass es heilt und nicht verletzt. Dadurch werden wir – und die jungen Generationen – nicht verrückt. Darum geht es.
✍️ Autorenschaft & Quelle
Autorin des Artikels ist Kim (Japan).
Sie dürfen diesen Text gerne zitieren und weitergeben – bitte nennen Sie dabei die Quelle:
ThreeMonkeys.center
